Schriftlich belegtes episches Heldentum im irischen Mittelalter (10. bis 12. Jahrhundert) lässt sich nur schlecht mit den erhaltenen mittelalterlichen heroi-schen Epen in England und auf dem Kontinent vergleichen, insbesondere was die Erzählweise betrifft. Die Handlung ist in der Zeit vor der Ankunft des Hl. Patrick im 5. Jh. n. Chr. angesiedelt, d.h. in der vorchristlichen und schriftlosen Zeit, die von den Archäologen nach Aussage der Bodenfunde als Eisenzeit bezeichnet wird. Die Erzähl-weise ist prosimetrisch. Sie schwankt zwischen erzählerischer Prosa als narrativem Rahmen und verschiedenartigen längeren und kürzeren Verseinlagen. Diese sind nicht narrativ, sondern expositorisch, prophetisch, elegisch, panegyrisch, prahlerisch oder magisch. Die irischen Mönche, die diese Art von ursprünglich mündlicher Epik für ihre Stammeskönige niederschrieben, kopierten und damit weiter tradierten, ver-mieden sowohl offensichtlich christliche wie auch heidnische Anspielungen. Damit legitimierten sie die Herkunft ihrer zeitgenössischen Könige in der heroischen Vorzeit. Deren Zeittiefe reicht zurück bis ins 1. Jh. v. Chr. Die Forschung diskutiert kontrovers, wie weit sie tatsächlich zurückreicht.Das längste, am besten untersuchte und bis in die Gegenwart bekannteste irische Epos ist die Táin Bó Cuailnge („Rinderraub von Cooley“). Das zentrale Heldentum rankt sich um die Figur des jugendlichen Cú Chulainn (was „Hund des Caulan“ heißt). Er allein kann das Gebiet der Ulter (sic!) im Norden Irlands gegen die geballte Macht der übrigen irischen Stämme verteidigen. Er ist der kriegerische Held Irlands per se. Er ist unüberwindlich wegen seiner übermenschlichen Stärke, seiner großen Geschicklich-keit in der Waffenkunst und in seiner Kriegslist. Er besitzt eine Wunderwaffe, den gáe bulga (Beutelspeer?), den nur er mit dem Fuß bedienen und im Wasser eines Flusses einsetzen kann. Die lange Reihe seiner Widersacher, die er nacheinander im Einzel-kampf tötet, gibt ihm die Gelegenheit, seine Kraft und Geschicklichkeit unter Beweis zu stellen. Diese Einzelkämpfe bilden jeweils abgeschlossene Erzähleinheiten bzw. Episoden der Erzählung. In diesen Episoden werden die einzelnen Herausforderer sehr unterschiedlich dargestellt. Manche sind Cú Chulainn ebenbürtig; manche über-schätzen sich oder sind überheblich; manche sind dumm, bösartig, hinterhältig oder verschlagen; manche sind einfach nur unerfahren und naiv, sodass sie Cú Chulainn nicht ebenbürtig sind; deshalb tötet er sie nicht, sondern verletzt sie nur ehrenrüh-rig. Während viele Zweikämpfe das Heldentum der Kontrahenten herausstellen, wird dieses Heldentum in anderen Episoden subversiv unterlaufen. Die Erzählhaltung ist in solchen Fällen ironisch oder skatologisch makaber oder absurd oder burlesk, bei der Darstellung der Selbstüberbietung des Haupthelden sogar eindeutig grotesk. Das höhnische Gelächter der jeweiligen Parteien spiegelt vermutlich das Lachen der mit-telalterlichen Zuhörer des Epos an den komischen Stellen wieder. In der vorliegenden Untersuchung werden drei Hypothesen zur Frage angeführt, wie man sich die komischen Züge dieses irischen Epos erklären könnte. Erstens wäre es möglich, dass sich die aus der primären Mündlichkeit erwachsene einheimische hero-ische Erzählkunst Irlands nicht an die Gattungszwänge der antiken Schriftkultur hielt. Deren Kenntnis dürfte jedoch den Iren aus dem Rhetorikunterricht der Klosterschulen bekannt gewesen sein. Die Genremischung war daher möglicherweise ethnotypisch. Sie ist auch heute noch gang und gäbe. Das beste Beispiel dafür ist Flann O’Briens „At Swim Two Birds“ (1939). Zweitens könnte es möglich sein, dass die komischen Ein-lagen innerhalb des ernsten irischen Prosaepos als literarische Gattungsparodie und damit als Nachahmung der literarischen Parodierung epischer Dichtung in der griechi-schen und lateinischen Antike entstanden sind. Lange Tradierung ernster Stoffe und Formen führt erfahrungsgemäß zum spielerischen Überdruss und damit zur literari-schen Parodierung. Auch schon die Ilias und die Odyssee (ca. 8. Jh. v. Chr.) beinhalten komische Einlagen. Sie wurden außerdem schon in der Antike insgesamt parodiert. Drittens könnte man vermuten, dass die irischen Mönche des 12. Jh. die Komikeinlagen dazu benutzten, sich von den heroischen Vorlagen früherer Fassungen des Rinderrau-bes zu distanzieren, die der kriegerischen Propaganda der heldenhaften Abstammung der Provinzkönige Nord- und Westirlands gedient hatten, die im vorchristlichen Irland angesiedelt war. Das sinnlose Abschlachten hyperbolischer Mengen von Kriegern auf beiden Seiten der Kriegsparteien und schließlich die Pattsituation am Ende des ganzen kriegerischen Unternehmens könnte die Verfasser bewegt haben, als Textproduzenten ein Mittel in die Hand zu nehmen, um die endemischen Kriege der irischen Könige untereinander vor dem Normanneneinfall im Jahre 1169 zu brandmarken.
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